Geschrieben am 11. September 2024

Tag der Wohnungslosen

Am Mittwoch, den 11.09.2024, finden deutschlandweit Aktionen zum Tag der Wohnungslosen statt. Koordiniert wir der Tag durch die BAG Wohnungslosenhilfe e.V. und die Kernbotschaft lautet in diesem Jahr: „WOHNUNG_LOS: Gemeinsam mehr erreichen“. Damit steht das Motto besonders im Zusammenhang mit dem Nationalen Aktionsplan „Gemeinsames für ein Zuhause“, der vom Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen (BMWSB) erarbeitet und vom Bundeskabinett im April 2024 beschlossen wurde. Darin enthalten sind Maßnahmen und Planungen, um das Ziel zu erreichen, bis 2030 Wohn- und Obdachlosigkeit zu beenden.

In diesem Jahr möchten wir als Aidshilfe Essen e.V. auf die steigenden Problemlagen, denen Wohnungslose in Deutschland ausgesetzt sind, aufmerksam machen. Denn Wohnungs- und Obdachlosigkeit sind keine individuellen Probleme, sondern eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, an der Akteure aus Politik, Zivilgesellschaft, sozialer Trägerschaft und Immobilienwirtschaft gemeinsam arbeiten müssen. Während die Mieten in den letzten Jahren flächendeckend immer weiter gestiegen sind, hat sich die Zahl der Sozialwohnungen in Deutschland von 2006 bis 2023 fast halbiert1. Zum Stichtag 31.01.2024 waren in Deutschland 439.500 Personen als untergebrachte Wohnungslose gemeldet. Dies ist ein Anstieg um 18% zum Vorjahr. Und dabei sollte niemals vergessen werden: Jede „Zahl“ steht für einen Menschen mit einem Einzelschicksal!

Auch muss an dieser Stelle dabei auf die hohe Dunkelziffer hingewiesen werden, da bei der Erfassung dieser Zahlen Menschen ohne jegliche Anbindung an Institutionen und Hilfesysteme nicht erfasst sind. Doch auch wenn die Schaffung von bezahlbaren Wohnraum ein notwendiger Baustein zur Verringerung der Wohnungslosigkeit ist, so braucht es noch weitere Maßnahmen: Der Zugang zu niederschwelligen Hilfsangeboten muss vereinfacht werden und Menschen in psychischen Ausnahmesituationen müssen schon vor dem Verlust des Wohnraums eine angemessene Hilfe bekommen. Zudem benötigt es den Ausbau bedarfsgerechter Unterkunftsformen (z.B. „Housing first“), mehr betreute Wohnheime und Behandlungsangebote -insbesondere für Personen mit psychischen Erkrankungen- und damit einhergehend angemessenes und ausreichendes Fachpersonal. Bei all den mittel- und langfristigen Zielen darf jedoch nicht vergessen werden, dass kurzfristig Maßnahmen getroffen werden müssen, um Wohnungs- und Obdachlose besser vor Gewalt geschützt werden.

Seit 1989 sind in Deutschland 653 Wohnungslose an den Folgen von Gewalt gestorben3. Bis 2020 gab es außerdem mehr als 2200 Gewalttaten, die Dunkelziffer wird noch weitaus höher eingeschätzt4. In der Öffentlichkeit werden diese Fälle häufig als Folge einer sog. „Milieu-Tat“ dargestellt. Dies verkennt jedoch die Realität und verdeckt die Diskriminierung, der Obdach- und Wohnungslose durch die Mehrheitsbevölkerung ausgesetzt sind. Wohnungslosen Personen fehlt es oftmals an einem sicheren Rückzugsort. Sie sind gezwungen, im Freien oder in unsicheren Unterkünften zu schlafen. Gerade während des Schlafens sind sie hilflos Übergriffen und Gewalt ausgeliefert ohne irgendeine Möglichkeit, die Gefahr vorzeitig zu erkennen, reagieren oder sich zu Wehr setzen zu können.

Das Problem der Gewalt gegen Wohnungslose wurde in diesem Frühjahr in Dortmund der Öffentlichkeit besonders deutlich, als innerhalb weniger Tage mehrere tödliche Attacken passierten5. Ein Mann wurde bei einem Polizeieinsatz getötet; ein 13-jähriger erstach einen Wohnungslosen, die Tat wurde von anderen gefilmt; eine 72-jährige Frau konnte sich noch gerade rechtzeitig aus ihrem Schlafsack befreien, der angezündet wurde. Auch in anderen Städten wurden schwere Gewalttaten an Wohnungslosen gemeldet: In Bochum tritt ein 21-jähriger einem schlafenden Wohnungslosen im Hauptbahnhof so stark vor den Kopf, dass dieser in der Folge stirbt6. In Moers wird ein 58-jähriger im Februar von einer Gruppe Jugendlicher mit Pfefferspray attackiert und so getreten, dass auch er an seinen Verletzungen stirbt. Wieder wurde die Tat gefilmt7. Und aktuell sucht die Polizei Essen einen jungen Mann wegen dem versuchten Mord an einen schlafenden Wohnungslosen im Januar 20248. Insbesondere das Opfer des 13-jährigen geriet jedoch in der Berichterstattung aus dem Fokus, denn statt der Debatte über Gewalt an Wohnungslose entbrach eine Diskussion über die Strafmündigkeit Minderjähriger. Auch der tödliche Polizeieinsatz wurde unkritisch durch die psychische Ausnahmesituation des Opfers gerechtfertigt.

Die erwähnten Fälle sind nur ein Ausschnitt der Gewalt an Wohnungslosen in diesem Jahr. Wir möchten dieses Statement nutzen, um stellvertretend für die vielen anderen Betroffenen an die Verstorbenen Andrzej und Szymon aus Dortmund, Wolfang aus Moers und Silvio aus Bochum zu gedenken.
Zum Tag der Wohnungslosen fordert die Aidshilfe Essen e.V. daher:

  • Eine ernsthafte Umsetzung des Nationalen Aktionsplan „Endlich ein Zuhause“, besonders während der aktuellen Haushaltsdebatten
  • Den Bau und die Förderung von mehr Sozialwohnungen
  • Schnelle Hilfen bei drohender Wohnungsräumung und die Förderung weiterer Unterkünfte für Wohnungslose
  • Die Förderung von Projekten für Wohnungslose, besonders für Menschen mit psychischen Erkrankungen
  • Wohnungslose Menschen müssen in die Entscheidungsprozesse miteinbezogen werden. Ihre Stimmen und Erfahrungen sind entscheidend, um effektive Schutzmaßnahmen und angemessene Wohnangebote zu entwickeln
  • Mehr Respekt für Wohnungslose durch öffentliche Aufklärung, zielgerichtete Gewaltprävention bei Jugendlichen, Schulungen für Polizist:innen und Kampagnen zur Sensibilisierung der Öffentlichkeit über die Rechte und Bedürfnisse wohnungsloser Menschen und damit einhergehend der Abbau von Diskriminierungen durch Gesellschaft, Medien, Behörden und Politik
  • Mäßigung in der Debatte um das Ausnutzen des Sozialstaats in Deutschland! Denn die Abwertung von Menschen als sog. Sozialschmarotzer entmenschlicht sie!

Es ist daher unsere gesamtgesellschaftliche Verantwortung, das Recht auf Sicherheit und körperliche Unversehrtheit für alle Menschen, unabhängig vom Wohnstatus, uns zur Aufgabe zu machen.